Mein Kind hält sich nicht an unsere Abmachung!
Beispiel Abschiedsituation im Kindergarten
“Aber wir haben heute morgen doch ausgemacht, dass, wenn ich dich zum Kindergarten bringe, du nicht weinst.”
Lea (Name frei erfunden) steht weinen vor der Tür zum Kindergarten und weigert sich, die Hand ihrer Mutter loszulassen. Leas Mutter ist verzweifelt und möchte los. “Dann kann ich dich nicht mehr in den Kindergarten bringen. Dein Papa bringt dich ab jetzt immer. Ich kann mich nicht auf dich verlassen. Du hältst dich nicht an unsere Abmachung.”
Ich spüre den Schmerz dieser Kinderseele und die Überforderung der Mama, die nun dringend zu ihrer Arbeit muss.
Warum dein Kind sich auf Abmachungen einlässt
Kinder leben im Hier & Jetzt
Kinder handeln immer nach ihrem Bedürfnis und sie leben im Hier und Jetzt. Dies sind zwei Faktoren, die wir in unsere Begleitung von Kinder im Kopf behalten dürfen.
Jesper Juul hat mal gesagt: “Kinder werden mit großer Weisheit geboren, aber ihnen fehlt praktische Lebenserfahrung, Überblick und die Fähigkeit vorauszudenken.”
Lea hatte an diesem Morgen ein grosses Bedürfnis nach Nähe zu ihrer Mutter. Ihre Mutter nimmt Leas Bedürfnis wahr und macht ihr ein Vorschlag unter einer Voraussetzung: Wenn ich dich bringe, weinst du nicht.
Lea, 4 Jahre alt, besitzt noch nicht die Fähigkeit vorauszudenken. Sie kann sich noch nicht in die Situation hineinversetzen. Lea ist jedoch schlau und sieht, dass wenn sie ja sagt, ihr Bedürfnis nach Nähe zu ihrer Mutter JETZT befriedigt ist. Lea sagt zu.
Indem Moment, wo sie im Kindergarten ankommen, hat Lea die Abmachung schon wieder vergessen. Sie wird von einem Gefühl der Trauer überrollt und kann dieses Gefühl, aufgrund von mangelnder Impulskontrolle, nicht einfach “wegdrücken”. Sie braucht jetzt ihre Mama, ganz dringend. Leas Mama erinnert Lea an die Abmachung. Lea fühlt sich nun nicht nur traurig, sondern ein Gefühl von “ich bin falsch” kommt hoch.
Nun greift Leas Mutter zum Telefon und will den Vater anrufen. “Lea, ich gehe jetzt. Höre auf zu weinen, sonst rufe ich den Papa an und der bringt dich ab jetzt nur noch in den Kindergarten.”
Lea weint nun noch heftiger.
Wenn Eltern die Führung abgeben
Leas Mutter hingegen, fühlt sich hilflos. Sie ist doch auf ihre Tochter eingegangen und wird jetzt auf diese Weise dafür “bestraft”. Mehrmals wiederholt sie “Ich gehe jetzt” und bleibt dennoch bei Lea. Sie spürt, dass es Lea nicht gut geht, weiss jedoch nicht, was sie tun kann.
In dieser Situation hat Lea die Führung bekommen. Unbewusst wartet Leas Muter darauf, dass Lea sich reguliert, aufhört zu weinen und sich von ihr verabschiedet. Die Verantwortung, dass der Abschied funktioniert, liegt bei einem 4-jährigen Kind.
Nach 20 Minuten hat Leas Mutter keine Kraft mehr. Sie übergibt Lea an einen Erzieher und läuft schnell aus dem Kindergarten. Schlechtes Gewissen plagt sie, aber auch eine Wut, dass Lea nicht kooperiert hat.